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Kurzgeschichte

Lilly, der lilane Drache und der Schuld-Spatz

Eine Kurzgeschichte über Verantwortung und Schuld. Achtsamkeit und Resilienz für Kinder.
Susi, der Schuld-Spatz (Bild von chiplanay auf Pixabay)

 Vor dem Lesen:

  1. Fragen, ob die Kinder den Begriff „Verantwortung“ und „Schuld haben“ kennen und ggf. erklären.

Verantwortung: Jemand erhält bestimmte Aufgaben übertragen und sollte diese erfüllen. Zum Beispiel hat man die Aufgabe den Müll rauszubringen. Wenn der Mülleimer voll ist, ist man verantwortlich dafür, diesen zu leeren. Oft werden Verantwortungen innerhalb der Familie aufgeteilt, sodass jeder eine oder mehrere Aufgaben erhält.

Schuld: Jemand hat etwas mutwillig kaputt gemacht, zum Beispiel einen Teller, oder die Hasen nicht gefüttert, obwohl er/sie weiß, dass es zu seinen Aufgaben gehört. Dann ist derjenige Schuld daran, dass der Teller kaputt ist oder die Hasen hungrig sind. Schuld ist man dann, wenn man Verantwortung für etwas hat, aber die Aufgabe nicht wahrnimmt. Zum Beispiel man trägt die Schuld daran, dass der Mülleimer überläuft mit Abfall, weil man seiner Aufgabe nicht nachgekommen ist, den Müll rauszubringen.

Der Schuld-Spatz

Der lilane Drache Lilly spazierte zufrieden durch den Wald. Unter ihren Füßen spürte sie noch leicht feuchte Erde vom letzten Regenschauer. So wie sie durch den Wald schlenderte, erreichte sie mit ihrem Kopf fast die Baumkronen, so groß war sie. Durch die Baumblätter hindurch schimmerte die Sonne in ihr Gesicht. Die verbliebenen Regentropfen auf den Blättern glitzerten regenbogenartig.

Lilly guckte sich beim Gehen die Äste der Bäume an und entdeckte einen Spatzen Susi. Sie sprang ganz aufgeregt von einem Ast zum anderen und zwitscherte ganz aufgeregt. 

„Liebe Susi,“, sagte Lilly freundlich, „ist alles gut bei dir? Warum bist du so aufgeregt?“

„Ich bin schuld, ich bin einfach an allem schuld!“, antwortete Susi.

„Wie meinst du das?“, fragte Lilly nach.

„Naja, zunächst hatten wir in unserer Höhle ganz viel Proviant an Beeren und Körnchen. Und jetzt ist der ganze Proviant nass und es ist nur meine Schuld!“, rief Susi verzweifelt.

„Aber liebe Susi, es hat ja nunmal geregnet und da kann man nichts machen. Außerdem werden die Beeren doch sehr bald wieder trocknen.“, versuchte Lilly den Spatzen zu beruhigen.

„Aber ich hätte das wissen müsse, ich hätte das mit Blättern bedecken müssen!“, wimmerte Susi.

„Ich finde du bist da etwas streng zu dir. Die Beeren sind doch genießbar!“, sagte Lilly mit ruhiger Stimme zu Susi.

„Und dann ist mein kleiner Bruder aus dem Nest geflogen und hat sich dabei verletzt, weil er noch gar nicht groß genug war, um zu fliegen!“, erzählte Susi weiter.

„Hm, das ist natürlich doof, wenn er sich verletzt hat. Aber auch da kannst du nichts dafür, eure Mutter oder Vater hätten in der Nähe sein müssen. Außerdem, wenn dein Bruder meint zu früh mit dem Fliegen anfangen zu müssen, kannst du das kaum etwas daran ändern. Du kannst ihn schließlich nicht für immer fesseln.“, erklärte Lilly.

„Und abgesehen davon,“, sagte Susi, „sind meine kleinen Brüder und Schwestern dauernd hungrig und ich komme gar nicht hinterher die zu füttern!“. Nun schaute Susi ganz traurig drein.

„Liebe Susi, das ist doch auch gar nicht deine Aufgabe. Deine Eltern kümmern sich doch um deine Geschwister und füttern sie, oder nicht? Und du darfst dich dann ganz allein auf dein Essen konzentrieren!“, versuchte Lilly Susi zu trösten. 

„Ja, meine Eltern sind fleißig und holen ständig etwas zu Essen aber meine Brüder und Schwestern sind trotzdem ständig hungrig. Ich fühle mich für sie verantwortlich“, sagte Susi nun etwas ruhiger.

„Das ist ja auch normal, dass sie ständig Hunger haben, sie wachsen schnell heran und haben sicherlich einen Bärenhunger. Sie werden aber nicht verhungern, dafür sorgen deine Eltern schon. Denn die sind für deine Geschwister und dich verantwortlich. Da darfst du beruhigt sein.“, besänftigte Lilly den Spatzen. 

„Meinst du wirklich? Ich habe immer das Gefühl, dass ich daran schuld bin und unbedingt helfen muss!“, sagte Susi verunsichert.

„Also Schuld bist du schon mal gar nicht, liebe Susi. Dass es regnet und die Beeren nicht abgedeckt waren, hätten auch deine erfahreneren Eltern wissen können. Dass sie nass geworden sind, macht aber rein gar nichts, sie trocknen schließlich wieder. Und um deine Geschwister kümmern sich deine Eltern, da trägst du gar keine Schuld, wenn etwas passiert. Es ist sehr nett von dir, dass du helfen möchtest. Und das kannst du gerne auch machen. Aber zu viel helfen und dich selbst dabei ganz vergessen muss nicht sein. Abgesehen davon, frag deine Eltern doch vorerst, ob sie deine Hilfe benötigen und falls ja dann frag sie, wie du ihnen am besten helfen kannst. Dann kannst du ihnen so viel helfen, wie du Zeit und Lust hast – aber das ist alles komplett freiwillig. Eigentlich bekommen das Eltern nämlich sehr gut auch alleine hin.“. Lilly schaute Susi durch ihre blauen Augen sanft an.

„Danke, liebe Lilly. Du beruhigst mich und machst mir Mut, denn das ist schon ganz schön viel, wenn ich den ganzen Tag helfen muss.“, gab Susi zu.

„Das kann ich verstehen, aber nur Mut und Kopf hoch. Du darfst daran glauben, dass du an alldem nicht schuld bist und du darfst zu allererst für dich sorgen, bevor du anderen deine Hilfe anbietest. Pass auf dich auf und bis bald, liebe Susi!“, sagte Lilly.

„Danke, Lilly. Bis bald!“, und Susi flog hinauf in den aufgeklarten Himmel. 

Und so zog Lilly weiter durch den Wald und genoss die frische Regenluft.

Nach dem Lesen:

  1. Woran hat Susi angeblich Schuld?

Susi denkt, dass sie Schuld daran hat, dass die Beeren nass geworden sind oder sich der Bruder beim Fliegen verletzt hat oder die Geschwister ständig hungrig sind.

  • Was denkt Lilly darüber, ob Susi Schuld hat oder nicht?

Lilly denkt nicht, dass Susi Schuld hat. Im Gegenteil, Lilly versucht Susi die ganze Zeit zu beschwichtigen und sie zu beruhigen.

  • Wann denkst du, dass du Schuld an etwas hast und wie geht es dir dabei? (Hier ggf. auch selber ein Beispiel einbringen.)
  • Ist es dir manchmal zu viel Verantwortung?

Es ist wichtig, dass jeder in der Familie Aufgaben übernimmt. So kannst du deinen Eltern helfen und trägst dazu bei, dass nichts liegen bleibt im Haushalt. Es sollten jedoch nicht zu viele Aufgaben sein, schließlich hast du ja selbst noch deine eigenen Schulaufgaben[1] zu erledigen oder spielst mit deinen Freunden. Wenn du das Gefühl hast, dass du nur noch an allem Schuld bist und du zu viele Aufgaben hast, sprich mit deinen Eltern und / oder deiner Lehrerin[2] / Erzieherin, sie werden dir dabei helfen nicht zu viel Verantwortung zu tragen.


[1] Zutreffend bei Schulkindern

[2] S.o.

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Lilly, der lilane Drache und der hübsche Hase

Eine Kurzgeschichte über Achtsamkeit für Kinder
Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay 

Lilly öffnete langsam ihre Augen. Die Sonne strahlte warm in ihr Gesicht. Langsam streckte sie ihren Hals in den Himmel und schaute sich um. So wie sie dasaß, war sie bereits so groß wie ein Hochhaus. Um sie herum war alles noch still und verschlafen, nur die Vögel zwitscherten ihren Morgengruß. Leise rasselten die Blätter und das Gras vom sanften Wind. „Heute wird ein guter Tag!“, dachte sich Lilly. Gähnend stellte sie sich auf ihre Beine, streckte ihre Flügel aus und räkelte sich, um wach zu werden. Sie schüttelte ihren Kopf, um die letzten Spuren ihres Schlafs und den Träumen wegzuschicken. 

Summend begab sich Lilly zum nächstgelegenen Bach, um sich zu erfrischen. Nach ein paar Schlucken bemerkte Lilly, dass es noch jemanden hier am Bach gab. Sie schaute auf und entdeckte den Hasen Hani. Hani schaute ganz traurig und verzweifelt in eine Pfütze und seufzte ganz laut dabei. Neugierig stapfte Lilly zu Hani und fragte: „Lieber Hani, was ist mit dir? Warum stöhnst du so laut? Tut dir etwas weh?“ Hani antwortete lahm: „Oh, hallo Lilly! Nein, liebe Lilly. Mir tut nichts weh. Ich bin nur so unglücklich, weißt du?“

„Das ist aber schade, lieber Hani, warum bist du denn unglücklich?“, fragte Lilly besorgt.

„Naja, guck mich doch mal an. Ich habe solche riesen großen Ohren, und riesige Zähne. Außerdem ist mein Puschelschwanz viel zu klein im Gegensatz zu den anderen Hasen. Ich hätte viel lieber kleinere Ohren und kleinere Zähne. Dann wäre ich glücklicher und dann hätte ich auch bestimmt mehr Freunde.“, seufzte Hani und blickte weiterhin traurig in sein Spiegelbild.

„Aber lieber Hani, ich finde du siehst ganz toll aus! Deine großen Ohren und deine großen Zähnen machen dich doch so besonders.“, versuchte Lilly den Hasen aufzumuntern.

„Ich möchte aber nicht besonders sein, ich möchte so wie alle anderen aussehen und viele Freunde haben.“, erwiderte Hani verzweifelt.

Nachdenklich schaute Lilly auf Hani und fragte sich, wie sie ihm nur helfen kann. 

Abends, an ihrem Platz auf dem Felsen, auf dem sie über den gesamten weiten Wald blicken kann, dachte Lilly wieder an Hani. Sie wollte ihm etwas Gutes tun und da Lilly Zauberkräfte hat, entschied sie sich, diese für den Hasen einzusetzen. Sie schloss ihre Augen und stellte sich den Hasen ganz genau vor. 

Durch einen Zauberspruch verwandelte sie ihn so, wie er sich selbst gerne haben wollte: mit kleineren Ohren, kleineren Zähnen und einem größeren Puschelschwanz.

Es vergingen ein paar Morgende, bis Lilly Hani erneut am Bach getroffen hat. Hani sah genauso aus, wie er immer aussehen wollte. Erneut blickte er in sein Spiegelbild in der Pfütze. Lilly schlenderte mit einem wissenden Grinsen zu Hani und sagte: „Lieber Hani, wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Du hast dich aber ganz schön verändert!“

„Jaaah, das stimmt.“, sagte Hani traurig. „Ich habe jetzt kleinere Ohren und Zähne und einen größeren Puschelschwanz.“

„Und, bist du jetzt glücklich? Hast du mehr Freunde?“, fragte Lilly neugierig.

„Weißt du, liebe Lilly, ich habe tatsächlich mehr Freunde. Doch mit diesen Freunden habe ich nichts gemeinsam. Wir sind ganz unterschiedlich und mit ihnen zusammen spielen macht keinen Spaß. Sie liegen viel lieber den ganzen Tag in der Sonne oder putzen sich, sie wollen ihr schönes Fell nicht ruinieren. Keiner möchte mit mir spielen und ich fühle mich auch nicht gemocht. Mit meinen alten Freunde hatte ich viel mehr Spaß, mit denen konnte ich raufen und so sein wie ich bin.“, sagte Hani betrübt.

„Das tut mir leid, dass du nicht glücklicher geworden bist. Was meinst du denn, würde dich glücklich machen?“, hakte Lilly nach.

„Ich glaube ich habe gelernt, dass mein Glück nichts mit meinem Aussehen zu tun hat. Ich seh‘ viel lieber so aus, wie ich ausgesehen habe und würde gerne wieder mit meinen alten Freunden spielen. Das waren Zeiten, in denen ich wirklich glücklich war. Das sehe ich jetzt. Irgendwie vermisse ich auch meine großen Ohren und Zähne, die haben so zu mir gehört und mich zu dem gemacht, was ich bin.“, erkannte Hani.

Lächelnd blickte Lilly auf den Hasen: „Es freut mich, dass du gemerkt hat, dass das Glück nichts mit deinem Aussehen zu tun hat. Wir sind alle besonders, genauso, wie wir sind. Nur dadurch, dass wir erkennen, dass andere anders aussehen und dass es kein perfektes Aussehen gibt, schaffen wir es, uns selbst so zu mögen, wie wir sind. Lieber Hase, ich verwandle dich gerne in dein altes Äußeres zurück. Denn wie du wahrscheinlich gemerkt hast, kommt unser eigentliches Glück von innen.“

„Könntest du das machen? Das wäre wundervoll!“, freute sich Hani. Und mit einem leisen Zauberspruch, erstrahlt der Hase zunächst in einem grell-gelben Licht, um kurz darauf wieder ganz wie der alte Hani auszusehen. „Vielen Dank liebe Lilly, vielen lieben Dank! Jetzt weiß ich es zu schätzen wie ich aussehe und kann so sehr wohl glücklich sein. Vielleicht habe ich jetzt nicht mehr viele Freunde, aber dafür habe ich die richtigen Freunde an meiner Seite!“, jubelte Hani.

Die beiden verabschiedeten sich voneinander und gingen ihren eigenen Weg des Glücks weiter.

Nach dem Lesen:

  1. Warum war Hani der Hase am Anfang so unglücklich? 

Hani war unglücklich mit seinem Aussehen. Er dachte, dass wenn er kleine Ohren und Zähne und einen größeren Puschelschwanz hätte, glücklicher wäre und mehr Freunde hätte.

  • War der Hase glücklicher nach seiner Verwandlung? Warum?

Der Hase war nicht glücklicher nach seiner Verwandlung. Er hat gemerkt, dass er gar nicht zu den anderen Hasen passt, die alle kleinere Ohren und Zähne und größere Puschelschwänze hatten. Er wollte sein altes Aussehen zurückhaben und mit seinen alten Freunde spielen.

  • Gibt es etwas an deinem Aussehen, was dich stört? Warum?

(Vielleicht hier selber etwas zeigen, was einem an einem selbst stört und warum. Und wie man selbst damit umgeht.)

  • Was kannst du tun, wenn du dich auf dein eigenes Aussehen oder deine angeblichen Fehler versteifst?

Nur, wenn man sich auf seine angeblichen Fehler versteift, und sich ständig einredet, dass man zu klein oder zu groß oder zu dick oder dünn ist, dann macht man sich selbst unglücklich. Viel schöner ist es, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist. Schönheit kommt von innen, genauso wie Glück. 

Du kannst dir selbst sagen: Ja, ich bin kleiner als alle anderen. Dafür bin ich aber wendiger und passe durch Löcher hindurch. Oder ja, ich bin wahrscheinlich dicker als andere, aber ich esse nunmal gerne und genieße es verschiedene Geschmacksrichtungen auszutesten. Ich bin kein schlechterer Mensch als andere. Ich darf glücklich sein egal, wie ich aussehe.